Donnerstag, 31. Mai 2012

Gegen soziale Kälte, für einen Ort des "Willkommenseins"

Eine lange Zeit kann man das nicht nennen, diese vier Monate, die ich nunmehr bei der Bahnhofsmission als Ehrenamtliche aktiv bin; wohlgemerkt: ich bin dort aktiv und arbeite nicht, denn Arbeit kann man es nicht nennen. Nennen wir es doch einmal Dienst, den Dienst am Menschen wenn man so will. Es waren vier ereignisreiche, aber auch segensreiche Monate. Wenn man an einem Ort wie dem Bahnhof arbeitet, kommt man zwangsläufig mit Menschen in Kontakt, die man sonst nur am Rande wahrnimmt oder ignoriert, aber auch jenen, die einfach nur Reisende sind. Kurzum: Man kommt mit allen möglichen Menschen zusammen, seien es obdachlose, behinderte oder mittellose Menschen, Reisende oder einfach nur jene, die ein Gespräch suchen. Jenachdem wie oft man einen Dienst in der Bahnhofsmission verbringt, kennt man irgendwann jene Gäste, die öfters kommen. Da fällt es schon mal auf, wenn ein Gast längere Zeit nicht kommt. Manchmal bemerkt man auch die Veränderungen, die sich bei dem anderen Menschen, der auf der anderen Seite der Tür steht, tun. Ob es nun positive oder negative Veränderungen sind, kann ich nur subjektiv sagen. Mal bekommt jemand die Kurve, mal nicht. Es ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich, das kann man nicht allgemeinhin für eine Gruppe Mensch sagen, denn die gibt es nicht, nicht wirklich. Jeder ist ein Individuum und wo nicht anders als auch bei der Bahnhofsmission erlebt man so etwas mit?

Wichtig ist, dass man den Gästen auch mal ein Tanz aus der Reihe nachsieht und nicht nachtragend ist, denn die Mission ist eben auch ein Anlaufort, um sich an kühlen oder nassen Tagen bei einem Becher Kaffee und einem Brot oder Kuchen aufwärmen zu können, jenachdem was gerade da ist. Der "Gastraum" ist nicht nur ein Ort, wo alle essen, nein, auch wo sich ausgetauscht oder zugehört wird. Manchmal kommt es vor, dass "spätabends", kurz vor Dienstschluss ein einsamer Gast mit einem der letzten Züge aus einer Richtung "hereingespült" wird und reden möchte. Es ist etwas ziemlich schief gelaufen oder es hat mal wieder ein Ding nicht so geklappt wie er oder sie es gerne haben wollte. Familiäres, persönliches ... vieles kann da zusammenkommen. Wichtig ist es da, dass man geduldig bleibt, zuhört und vermitteln kann, wenn vermittelt werden muss; und sei es erstmal ein kostenloser Schlafplatz für eine Nacht. Für einen selbst ist es aber auch wichtig, dass man es nicht an sich persönlich heranlässt; seien es die Ausraster der Gäste, die einmal vorkommen können oder aber auch deren Sorgen oder Nöte. Man ist dazu da, zuzuhören, ein offenes Ohr zu haben, eben eine Stelle zu sein, wo weder Name oder sonstwas genannt werden müssen; wo man so viel preisgeben kann, wie man selber will. Helfen tut man dann, indem man weitervermittelt an Stellen, wo den Betroffenen wirklich geholfen werden kann, immerhin haben die mehr Ahnung und eine Ausbildung in eben jenen Dingen, nicht so wie die meisten von uns.

Aber nicht nur die Arbeit mit hilfesuchenden Menschen ist unsere Aufgabe, wir helfen auch mit dem Reiseverkehr im Bahnhof selbst. Sei es, einmal beim Kinderwagen die Treppe hochtragen helfen oder den Lastenaufzug zu bedienen, um einen Rollstuhlfahrer oder eine Familie mit viel Gepäck zum Gleis zu bringen (was nun leider der Vergangenheit angehört), oder auch jemanden in den richtigen Zug zu setzen, dem das Augenlicht nicht mehr vorhanden ist, wir helfen da, wo Hilfe benötigt wird. Und das hat mittlerweile eine Tradition von 120 Jahren!
Angefangen hatte alles eigentlich damit, dass die Städte wuchsen und interessanter für die Dorfmenschen wurden. Frauen kamen in die Städte, um Arbeit zu suchen und wurden oftmals von anderen abgefangen und in die Prostitution und andere Gewerbe gezwungen. Die Bahnhofsmission von damals fing diese Frauen auf und brachte sie sicher über.
Mit der Zeit wandelten sich die Bahnhofsmission mit ihren Aufgaben. Irgendwann nahm die Bahnhofsmission dann die Form an, wie sie heute oft zu finden ist, aber auch dies ist keine endgültige Form. Vor noch nicht allzulanger Zeit, wurde die Bahnhofsmission oftmals von Hausfrauen und/oder Rentnerinnen gehalten, heute sind auch viele Studenten und Praktikanten dabei. Was uns alle vereint, ist das Miteinander, was allzu oft auch sehr familiär ist, da wir schließlich eine Einheit, ein Team bilden. Die warme Atmosphäre untereinander, das Willkommengeheißenwerden, tragen sehr dazu bei, dass der Dienst bei der Bahnhofsmission noch lange nicht "Arbeit" genannt werden kann, ganz im Gegenteil, den Dienst als Abreit zu nennen käme für mich schon fast einer Beleidigung gleich. Wir schenken einen Teil unserer Zeit, die uns in unserem Leben zur Verfügung gestellt wurde, der Bahnhofsmission und somit den Menschen, die Hilfe brauchen. Die Zeit ist ein Gut, was man niemals mit Geld oder irgendeinem anderen materiellen Wert aufwiegen kann, denn alles würde es nur herabwerten.
Oftmals kommen während des Dienstes interessante Begegnungen und Gespräche Zustande, manchmal begleitet man eine/n Reisende/n etwas länger als gewöhnlich im Bahnhof und kommt so ins Gespräch. Oder mit den Gästen, die regelmäßig oder eben nach akutem bedarf zu uns kommen. Mit den Geschichten bzw. Erlebnissen ließen sich sicherlich viele Anekdoten erzählen. Die Zeit, die man investiert, verschenkt, bekommt man durch den Kontakt mit den Menschen um ein vielfaches zurück, sofern man eben offen ist für die Menschen; und kontaktfreudig! Berührungsängste sind eher fehl am Platz, egal, welcher Art sie sind: Sei es ein Handschütteln zur Begrüßung der (bekannten) Gäste, sei es das Unterhaken zum Führen zum richtigen Gleis oder einfach die Hilfestellung beim Treppensteigen, das Gespräch und das Schmieren von Broten und Brötchen.
Wer könnte schon ein von Herzen kommendes "Danke" mit Geld kaufen? Oder ein Lächeln, weil man sich verstanden weiß? Das Zwischenmenschliche, was so wichtig ist, kann niemand mit Geld kaufen, es kommt von Herzen; und auch aus Überzeugung.

Warum aber habe ich mir ausgerechnet die Bahnhofsmission ausgesucht? Zu einem konkreten Schluss bin ich nicht wirklich gekommen, mir war es auch nie wirklich richtig bewusst, dass es sie gab, lediglich das Wissen, dass es sie gibt, hatte ich. Vor Jahren, während ich noch zur Oberstufe ging, spielte ich einmal mit dem Gedanken, bei der Mission tätig zu werden, aber die Zeit ließ es nicht zu, es musste gelernt werden. Während meiner Ausbildung war ich am Wochenende meist viel zu sehr geschlaucht, sodass ich es wirklich zur Erholung benötigte. Und trotzdem ließ der Wunsch, mich ehrenamtlich zu betätigen, mich all die Jahre nicht los, insgesamt waren es wohl 7 1/2. Schließlich habe ich die Gelegenheit mit dem Beginn meines Studiums am Schopfe gepackt und pünktlich kurz vor Ende des ersten Semesters mir den Hörer geschnappt und habe bei der Bahnhofsmission angerufen, es war wohl mehr oder weniger eine innere Stimme, die mich zur Bahnhofsmission gebracht hat. Was sie tat und mit wem sie es zu tun hatte, dessen war ich mir vollkommen bewusst zu jenem Zeitpunkt, weshalb ich vielleicht genau deswegen dorthin wollte. Nach einem kurzen Telefongespräch hatte ich dann einen "Vorstellungstermin" mit dem festen Vorhaben, eine ehrenamtliche Stellung dort auch unbedingt zu erhalten. In der letzten Januarwoche war es schließlich soweit: Das "Vorstellungsgespräch" stand vor der Tür.
So nervös wie ich war hätte man meinen können, ich stünde kurz vor einer Prüfung; und so fühlte ich mich ehrlich gesagt auch. Schnell hatte ich aber gemerkt, dass alle recht nett waren und es kein echtes Vorstellungsgespräch war, so wie man es eben definiert, sondern wirklich ein "Vorstellungs-Gespräch". Die Sache mit dem Ehrenamt bei der Bahnhofsmission hatte ich mir zu jenem Zeitpunkt ganz genau überlegt und bin bei meiner Entscheidung geblieben: Die Arbeit dort würde mir nichts ausmachen.
Schließlich verabschiedeten wir uns nach einem kleinen, anschießenden Plausch und ich sagte: Ich komme wieder! Und ich tat es, immer wieder und wieder. Bemerkenswert fand ich bei meinem ersten Dienst, dass ich im Dienstplan nicht nur für den Tag eingetragen war, an dem mein "Schnuppertag" sein sollte, sondern auch für zwei weitere Tage. Auf meine Frage hin kam dann die Antwort, dass die Leiterin gesagt habe: "Die kommt wieder." Und so war es dann ja auch tatsächlich ...

Den Dienst bei der Bahnhofsmission mache ich, weil ... ja, warum? Die "Arbeit" mit den Menschen und die Kontakte mit jenen macht mir Freude, es tut mir gut, mir selbst, nicht meinem Gewissen. Mein Gewissen kann ich mit anderen Dingen gut stellen. Vor allem aber ist es die Überzeugung. In meinem Leben hatte ich viel Unglück und Glück erleben müssen, es wurde mir viel genommen und viel gegeben. Ich stand schon auf vielen Seiten in meinem Leben und weiß, wie es ist, wenn man jemanden oder eine Stelle hat, bei dem man die Brocken Sorge oder anderes loswerden kann, die einen belasten. Wäre ich in der Situation unserer Gäste oder unserer Reisenden, wäre ich froh, wenn mich ein lächelndes Gesicht begrüßt, sei es auch am frühen Morgen und mir etwas zu essen und zu trinken anbietet, jemand, der mir hilft beim Reisen mit der Bahn, wenn ich es alleine nicht kann oder es mir nicht zutraue. Auf die anderen um mich herum kann ich mich längst nicht mehr so vertrauen wie früher, da ist es umso besser, wenn man jemanden hat, der verlässlich zur Seite steht in Zeiten, wo man Hilfe bedarf.
Es ist wichtig heutzutage, zu wissen, dass man nicht alleine ist, trotz der sozialen Kälte in der Gesellschaft, die immer weiter zunimmt.
Wer bekommt, sollte auch geben können und wenn es so etwas Unscheinbares wie die Zeit ist; sie ist eines der kostbarsten Güter.

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