Sonntag, 5. Februar 2012

Behindert ist nicht behindert - oder doch?

Es ist und bleibt ein aktuelles Thema in meinem Leben: Meine Behinderung. So viele Anekdoten könnten erzählt werden aus all den Jahren, alle erfreulichen und alle weniger erfreulichen Ereignisse. Behinderung, dieses Thema, wird des Öfteren auftauchen, sicherlich, immerhin bestimmt sie ein wenig mein Leben und ich bestimme sie.

Jetzt bin ich so frech und behaupte, behinderte Menschen sehen die Welt nochmal ganz anders als die "unbehinderte" Bevölkerung. Teilen wir einmal grob ein: Behindert sind die, die im Rolli sitzen, denen mehr als nur ein Finger fehlt oder sonstwie "anders" sind als das gesellschaftlich angesehene "normal". Normal sind also alle Leute, die nicht anders aussehen vom Körperbau und in der Masse und unter nur wenigen Leuten nicht auffallen würden.
Stellt euch jetzt einmal vor, euch fehlen ein paar Finger von Geburt an und habt damit aber umzugehen gelernt. Euer Rücken ist auch ein bisschen krumm und ihr seid schüchtern. Dinge, für die ihr nichts könnt; es ist erblich oder vom Charakter her bedingt. Der Aufenthalt unter vielen Menschen ist euch unangenehm, da man da so schlecht den Überblick behalten kann und es ja möglich ist, dass die Leute einen anstarren oder ähnliches. Es fällt euch schwer, Smalltalk mit anderen zu führen. Jetzt begegnet ihr einigen Leuten, die auf euch zeigen mit dem Finger und angeekelt das Gesicht verziehen angesichts eurer Behinderung. Das schreien sie auch noch laut heraus und die Leute um einen herum meiden einen. Der Kommentar, dass man euch nicht zu nahe kommen soll, weil das ja ansteckend sein könnte, ist hörbar, Eltern ziehen ihre Kinder fort und sagen zu ihnen: "Komm dem Mädchen/dem Jungen bloß nicht zu nahe, sonst fallen dir die Finger auch noch ab!" Euch ist es unangenehm, dass ihr die Aufmerksamkeit auf euch und eure Behinderung gezogen habt. Es tut euch weh, dass ihr auf eure Behinderung herabgestuft werdet, dass die Leute euch genau deswegen meiden, obwohl das nichts Schlimmes ist. Würdet ihr euch mit solchen Menschen abgeben wollen? Menschen, die euch beleidigen aufgrund von eurer Behinderung? Die euch ganz tief herabstufen und euch als wertlos und nicht lebenswert betrachten? Die andere gegen euch aufhetzen?
Jetzt stellt euch noch vor, das ist die ganze Kindheit und Jugendzeit so, ihr kennt nichts anderes von den Menschen. Könntet ihr dann noch bedenkenlos Kontakt zu anderen Menschen knüpfen? Würdet ihr euch mit einer Brieffreundin treffen, die euch noch nie zuvor gesehen hat und nichts von eurer Behinderung weiß? Würdet ihr noch an Liebe glauben, dass es sie auch für euch/für Behinderte gibt, zwischen Behinderten und Nichtbehinderten? Denkt einmal gründlich nach und beantwortet euch die Frage ehrlich zu euch selbst.

Von daher denke ich, aus diesem Standpunkt, dass behinderte Menschen die Welt durchaus anders betrachten und wahrnehmen, aufmerksamer teilweise sind und auch eine ganz andere Sicht zu den Dingen haben. Freundschaft und Vertrauen sind für uns Punkte, die allerhöchste Wichtigkeit und Priorität tragen. Wenn man schon niemandem sonst trauen kann, dann wenigstens den Freunden. Man kann vertrauen, dass das, was man der Freundin / dem Freund erzählt, nicht weitergegeben wird. Wenigstens eine Konstante in so einem unkonstanten Leben.

Und nun denkt einmal darüber nach, wie euch die PID-Diskussion (Präimplantationsdiagnostik)berühren würde, wäret ihr selbst betroffen, direkt oder indirekt. Wenn IHR nämlich Kinder bekommen werdet, wird man euch später fragen: "Warum hast du / haben Sie denn nichts dagegen getan?", "Soetwas wäre doch zu verhindern möglich gewesen", "Warum haben Sie nicht einfach Kinder adoptiert?"
Meine Auffassung hierzu ist: Wir sind so, wie Gott uns geschaffen hat, mit allen vermeintlichen Makeln, die erst die Menschen selbst zu Makeln machen. Wer sagt, dass wir behindert seien? Die Gesellschaft und die besteht ja aus uns Menschen, also sind es die Menschen, die uns erst behindert machen und nicht wir selbst. Wir sind so auf die Welt gekommen, wir wurden so geschaffen. Unsere Körper mögen anders aussehen, unsere Geister sind aber die Gleichen, egal, wie wir nach außen hin scheinen. Wenn wir in genau das nun eingreifen, greifen wir in das natürliche Verfahren Mutter Naturs ein, in den natürlichen Verlauf des Lebens; alles kommt so, wie es gut ist.
Oft genug habe ich die Menschen um mich herum sagen hören: "Wenn ich das so von dir höre, dich so sehe, dann realisiere ich erstmal, wie gut ich es in meinem Leben doch eigentlich habe."
Das habe ich mir jetzt nicht so ausgedacht, das höre ich tatsächlich mehrmals jährlich. Der Mensch brauch Kontraste, damit er sich selbst besser wahrnehmen kann, damit er die Dinge wahrnimmt, realisiert, die er doch besitzt; seien es materialistische wie Geld oder Nahrung (was ja für einige selbstverständlich heutzutage ist, was es aber nicht ist!) oder unmaterialistische wie Gesundheit, Treue und Vertrauen.

Keineswegs wollte ich hier als Moralapostel und dergleichen darstehen, ich wollte einfach einen Versuch wagen, euch einen Einblick in eine Perspektive, eine Situation zu geben, die manchen schlicht und einfach nicht bewusst ist.

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